Mein erster Nachttauchgang – ein Abenteuer im Dunkeln

Mein erster Nachttauchgang - ein erfahrener Taucher erinnert sich.
Mein erster Nachttauchgang - ein erfahrener Taucher erinnert sich.

In der Reihe „Mein erster Tauchgang“ erzählt euch Jonas, wie sein erster Nachttauchgang damals für ihn ablief. Mit unserer Artikelserie wollen wir Taucheinsteigern ein Gefühl dafür geben, wie euer erstes Taucherlebnis ablaufen kann.

Es gibt Augenblicke im Taucherleben, die sind so besonders, dass man sie mit geschlossenen Augen jederzeit wieder abrufen kann. Mein erster Nachttauchgang gehört für mich zu diesen Momenten. Bis heute erinnere ich mich genau an das Gefühl, wie ich am Ufer stand, in die schwarze Wasseroberfläche blickte und mich fragte, ob ich den Mut haben würde, jetzt wirklich hineinzusteigen. Die Sonne war längst verschwunden, nur das leise Glitzern der Sterne spiegelte sich auf der Wasserfläche. Alles wirkte stiller, geheimnisvoller – und irgendwie auch bedrohlich.

Ich war zu diesem Zeitpunkt kein absoluter Anfänger mehr. Ich hatte meine Grundausbildung abgeschlossen und einige Tauchgänge im Tageslicht hinter mir. Ich kannte das Gefühl, schwerelos durchs Wasser zu gleiten, und ich wusste, wie sehr mich die Unterwasserwelt faszinierte. Aber nachts zu tauchen, das war etwas anderes. Das war ein Schritt in eine Welt, die ich nicht kannte, in eine Umgebung, die ihre eigenen Regeln hatte.


Der Moment vor dem Einstieg

Noch bevor ich die Ausrüstung überhaupt anlegte, spürte ich die Spannung. Die anderen Taucher, die an diesem Abend dabei waren, schienen gelassen. Einige scherzten, andere waren konzentriert mit dem Aufbau ihrer Lampen beschäftigt. Ich dagegen stand einfach da, schaute hinaus auf die Dunkelheit und versuchte, mein Herzschlagen zu beruhigen.

Mein Tauchlehrer bemerkte meine Nervosität. Er lächelte, legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte: „Nachttauchen ist wie ein Spaziergang in einer vertrauten Straße – nur dass du plötzlich Dinge siehst, die du am Tag nie bemerken würdest.“ Dieser Satz blieb mir im Kopf. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es sein würde, wenn die Strahlen meiner Lampe nur kleine Ausschnitte der Unterwasserwelt erhellten und der Rest im Dunkeln blieb.

Das Anlegen der Ausrüstung fühlte sich an diesem Abend noch intensiver an als sonst. Jeder Klick, jede Kontrolle, jeder Atemzug durch den Regler wirkte bedeutungsvoller. Schließlich stand ich ausgerüstet am Ufer, die Lampe in der Hand. Ich wusste: Jetzt gibt es kein Zurück mehr.


Der Sprung ins Dunkel

Als ich ins Wasser glitt, umfing mich sofort eine andere Art von Stille. Am Tag sind Seen oft voller Stimmen, Vogelgezwitscher, Geräusche von Booten oder Menschen am Ufer. Jetzt war da nur das leise Schlagen der Wellen und das Blubbern meiner eigenen Bewegungen.

Wir tauchten ab, und mit jedem Meter verschwand das letzte Restlicht der Dämmerung. Bald war nur noch der Kegel meiner Lampe zu sehen, der einen schmalen Streifen Wasser vor mir erhellte. Alles andere lag im Dunkeln. Anfangs war dieses Gefühl ungewohnt, fast beklemmend. Es war, als würde ich durch einen Tunnel schwimmen, ohne zu wissen, was rechts oder links von mir geschah.

Doch nach einigen Minuten veränderte sich meine Wahrnehmung. Statt Angst zu empfinden, spürte ich eine wachsende Konzentration. Ich sah plötzlich Details, die mir am Tag nie aufgefallen wären: winzige Schnecken, die sich langsam über ein Blatt bewegten, kleine Garnelen, die wie transparente Schatten zwischen den Pflanzen huschten, und Fische, die scheinbar regungslos im Wasser schwebten. Meine Welt war kleiner geworden, aber gleichzeitig viel intensiver.


Begegnungen mit der Nachtwelt

Das vielleicht Faszinierendste am Nachttauchen ist die Tatsache, dass sich die Unterwasserwelt komplett verändert. Fische, die man tagsüber nur flüchtig sieht, scheinen wie erstarrt im Lichtkegel. Andere Arten, die man bei Tageslicht kaum wahrnimmt, werden plötzlich aktiv.

Bei meinem ersten Nachttauchgang war es ein Aal, der mich völlig in seinen Bann zog. Er glitt elegant durch das Licht meiner Lampe, verschwand dann wieder in der Dunkelheit, nur um ein paar Meter weiter erneut aufzutauchen. Ich erinnere mich auch an eine Gruppe Krebse, die geschäftig über den Grund krabbelten. Tagsüber hatte ich nie so viele von ihnen gesehen, doch in dieser Nacht wirkten sie, als hätten sie das ganze Revier für sich.

Einmal drehte ich meine Lampe nach oben und sah unzählige winzige Partikel im Wasser glitzern, als hätte jemand Sterne ins Dunkel gestreut. Dieser Anblick war so schön, dass ich für einen Moment einfach still im Wasser schwebte und nur schaute.


Die besondere Atmosphäre

Was mich an diesem ersten Nachttauchgang am meisten überraschte, war nicht nur das, was ich sah, sondern das, was ich fühlte. Es war die Ruhe, die mich umgab. Der Tag mit seinem Lärm, seiner Hektik und seinen Gedanken war weit weg. Unter Wasser, im Dunkeln, gab es nur noch den eigenen Atem, das sanfte Schlagen der Flossen und das leise Knistern des Wassers.

Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, Teil eines Geheimnisses zu sein. So, als würde die Unterwasserwelt nachts eine ganz andere Seite zeigen, die nur wenige Menschen jemals zu Gesicht bekommen. Es war, als wäre ich zu Gast in einer verborgenen Welt, die sich nur öffnet, wenn die Sonne untergeht.


Das Vertrauen in die Lampe

Natürlich war meine Lampe mein wichtigster Begleiter. Anfangs klammerte ich mich fast an ihren Lichtstrahl, als sei er der einzige Anker in der Dunkelheit. Doch mit der Zeit lernte ich, mich nicht nur auf das Licht, sondern auch auf meine Sinne zu verlassen. Ich spürte die Strömung, hörte das leise Knacken der Pflanzen, bemerkte die Bewegungen meines Buddys neben mir.

Einmal schaltete ich die Lampe kurz aus, wie es mein Tauchlehrer vorgeschlagen hatte. Zuerst war es ein Schock – völlige Dunkelheit umgab mich. Doch dann bemerkte ich etwas Unglaubliches: Das Wasser begann zu leuchten. Durch meine Bewegungen wirbelte ich Plankton auf, das in kleinen, grünen Funken aufglühte. Biolumineszenz nennt man dieses Phänomen, und für mich war es wie Magie. In diesem Moment wusste ich, dass Nachttauchen nicht nur ein Abenteuer, sondern eine Offenbarung sein kann.


Der Weg zurück

Nach etwa 40 Minuten gab mein Tauchlehrer das Signal zum Auftauchen. Wir hielten unsere üblichen Stopps ein, und während wir langsam nach oben stiegen, sah ich, wie der schwache Schimmer des Mondes durch die Wasseroberfläche drang. Als ich schließlich den Kopf über Wasser hob, war die Welt da draußen still und friedlich. Keine Hektik, keine Stimmen – nur das Glitzern der Sterne und das sanfte Plätschern des Sees.

Ich zog mein Mundstück heraus, atmete die kühle Nachtluft ein und spürte ein tiefes Glück. Es war kein Adrenalinkick, kein nervöses Herzklopfen mehr, sondern ein Gefühl von Ruhe und Dankbarkeit. Ich hatte meine Angst überwunden und eine völlig neue Dimension des Tauchens kennengelernt.


Was bleibt

Mein erster Nachttauchgang hat mir gezeigt, dass die Unterwasserwelt unendlich viele Gesichter hat. Am Tag ist sie bunt, lebendig und voller Energie. In der Nacht hingegen ist sie geheimnisvoll, still und fast spirituell. Beide Seiten gehören zusammen, und erst wenn man beides erlebt hat, versteht man, wie vielfältig das Tauchen sein kann.

Für Anfänger ist es wichtig zu wissen, dass Nachttauchen keine Mutprobe ist. Es geht nicht darum, sich in Gefahr zu begeben, sondern darum, seine Wahrnehmung zu erweitern. Mit der richtigen Vorbereitung, einer zuverlässigen Lampe und einem erfahrenen Buddy wird die Dunkelheit nicht bedrohlich, sondern zu einem Fenster in eine neue Welt.

Ich bin seitdem viele Male nachts getaucht – im Meer, in Seen, manchmal sogar in tropischen Lagunen. Doch der erste Nachttauchgang bleibt unvergesslich, weil er mir gezeigt hat, dass man nur einen Schritt ins Unbekannte wagen muss, um etwas Wunderschönes zu entdecken.


Fazit

Wenn ich heute gefragt werde, welchen Tauchgang ich Einsteigern besonders ans Herz lege, dann sage ich oft: den ersten Nachttauchgang. Nicht, weil er spektakulärer ist als ein Wrack oder aufregender als ein Strömungstauchgang, sondern weil er uns lehrt, mit neuen Augen zu sehen. Die Dunkelheit nimmt uns das große Ganze und schenkt uns dafür die kleinen Details. Sie zeigt uns, dass wir vertrauen können – in unsere Ausrüstung, in unseren Buddy und in uns selbst.

Mein erster Nachttauchgang war der Moment, in dem ich verstand: Tauchen ist mehr als nur Sport. Es ist eine Reise in Welten, die sich nur denjenigen öffnen, die bereit sind, auch das Unbekannte zu umarmen. Und genau das ist es, was dieses Erlebnis für mich so wertvoll macht.

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